Mönchengladbach

Wickrath

Friedhof Roßweide ©Werner Stapelfeldt

Der heutige Stadtteil Wickrath gehört erst seit Januar 1975 zum Stadtgebiet Mönchengladbach. Zuvor gehörte das Gebiet dem Landkreis Grevenbroich an. 

Die deutsch-jüdische Geschichte Wickraths unterscheidet sich deutlich von den Geschichten anderer Stadtteile des heutigen Mönchengladbaches. 

Bis in das Jahr 1488 gehörten Wickrath, gemeinsam mit Wickrathberg, Wickrathhahn und Schwanenberg, zu Geldern. Die Herren von Wickrath traten im 16. Jahrhundert zum reformierten Glauben über und die Wickrathberger Kirche wurde zum religiösen Zentrum. Sie zeichneten sich durch religiöse Toleranz gegenüber den im ganzen Reich lebenden Juden aus. Die aufkommenden Judenordnungen, in denen die Bedingungen zur Niederlassung- und Berufsausübung festgehalten waren, galten in ihrer Herrschaft nicht. Stattdessen ermöglichte die Toleranz der Reichsgrafen der jüdischen Bevölkerung sich zu entfalten. Hier darf jedoch nicht vergessen werden, dass dabei auch finanzielle Gründe eine Rolle spielten: so stellte der zu zahlende Tribut der jüdischen Bevölkerung eine sichere Einnahmequelle für die Herrschaft dar. 

So ist es nicht verwunderlich, dass das jüdische Leben in Wickrath bereits zu einer Zeit aufblühte, zu der in anderen heutigen Stadtteilen Mönchengladbachs nur wenige jüdische Familien lebten und ein innerjüdisches Leben kaum gewehrt werden konnte. Das jüdische Leben in Wickrath konnte sich fast unbegrenzt entfalten und die jüdische Gemeinde war somit an Bedeutung ihren Nachbargemeinden gegenüber weit voraus. Dieser Umstand änderte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als Gladbach und Rheydt durch ihre aufstrebende Textilindustrie an wirtschaftlicher Bedeutung gewannen. Zu dieser Zeit zogen auch viele jüdische Familien aus Wickrath in die Städte, um sich als Unternehmer und Kaufleute am allgemeinen Aufschwung zu beteiligen. Die Zahl der Jüdinnen und Juden in Wickrath nahm seitdem kontinuierlich ab. 

Der erste (erhaltene) Nachweis jüdischen Lebens in Wickrath ist aus dem Jahre 1612. Für das gesamte 17. Jahrhundert ist nur wenig über das jüdische Leben überliefert, so wird lediglich für das Jahr 1672 ein Schutzjude erwähnt und für 1682 ein jüdischer Friedhof im Bongarter Acker. Dies lässt darauf schließen, dass die jüdische Bevölkerung in Wickrath bereits eine solche (zahlenmäßige) Bedeutung besaß, dass ihre Begräbnisstätte erwähnenswert erschien. Konkrete Zahlen oder gar Namen der in Wickrath lebenden Jüdinnen und Juden vor 1700 sind nicht überliefert. 

Gedenktafel Friedhof Roßweide ©Werner Stapelfeldt

Auch wenn der Reichsgraf von Wickrath gegenüber seiner jüdischen Bevölkerung weitaus „großzügiger“ erschien, musste auch er sich an die damaligen Berufsbeschränkungen für Juden im Heiligen Römischen Reich halten. So mussten auch die Juden in Wickrath den Beruf eines Metzgers, Viehhändlers, Handelsmannes oder Geldverleihers ausüben, wobei der Beruf eines Geldverleihers bei den Wickrather Juden urkundlich nicht in Erscheinung trat. Im Durchschnitt gehörten die jüdischen Familien entsprechend der unteren sozialen Schicht an, woran sich im Laufe der Jahrhunderte kaum etwas daran änderte: nur ein ganz kleiner Teil schaffte den Aufstieg in die bürgerliche Mittelschicht.

Zu diesem Zeitpunkt bildete das Dorf Wickrathberg den religiösen Mittelpunkt für alle in Wickrath lebenden Jüdinnen und Juden. Hier siedelte sich die Mehrzahl der jüdischen Familienan, bereits kurz nach 1700 waren Juden Hauseigentümer in Wickrathberg. Dies unterscheidet sie im Wesentlichen von ihren Glaubensgenossen, die im kurkölnischen oder jülich-bergischen Herrschaftsbereich lebten. Die meisten vergeleideten Juden, die bereits im 18. Jahrhundert in Wickrath lebten, behielten hier ihren Wohnsitz und wurden sesshaft. Die Geschichte vieler dieser Wickrather Familien lassen sich bis in das 20. Jahrhundert nachzeichnen.

Im Dorf Wickrathberg befanden sich zudem zwei Synagogen. Die erste soll laut Überlieferungen von Zeitzeugen schon sehr viel früher existiert haben, seit 1770 war hier Manasse Isaak als Rabbiner tätig. Die jüngere Synagoge entstand im Jahr 1814 und wurde 1860 durch einen Neubau ersetzt. Dieser Neubau wurde hauptsächlich durch Abraham Gormanns finanziert. Die anfallenden Kosten der Synagogengemeinde wurden größtenteils durch die alteingesessene Familie Spier getragen. 

Zu einer ähnlichen Zeit wie die erste Synagoge wird in Wickrath eine jüdische Schule entstanden sein, da für das Jahr 1808 Michael Marcus als jüdischer Volksschullehrer belegt werden kann. Zehn Jahre später finden sich Belege für zwei weitere Schullehrer in der Gemeinde. Interessant hierbei ist, dass keiner der drei Lehrer ‚nur‘ als Religionslehrer benannt wurde. Im Laufe der kommenden Jahrzehnte bis zum Jahr 1863 tauchen immer wieder unterschiedliche jüdische Lehrer in Wickrath auf. Aufgrund fehlender Belege hinsichtlich weiterer jüdischen Lehrer im Zeitverlauf muss davon ausgegangen werden, dass die Schule zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr bestand und nur noch jüdischer Religionsunterricht erteilt wurde.

Auch die in Wickrath lebenden Jüdinnen und Juden waren 1808 durch das napoleonische Dekret zur Annahme fester Familiennamen verpflichtet. Die erhaltene Liste umfasst insgesamt 75 Namen. In den folgenden Jahrzehnten stieg die Zahl der jüdischen Bevölkerung kontinuierlich an. 1843 machten 162 Jüdinnen und Juden sogar 4 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Auch nach dem Emanzipationsgesetz vom 23. Juli 1847 hatte die jüdische Gemeinde hier ihren bisherigen selbstständigen Status beibehalten. 1885 erreichte die jüdische Gemeinde mit 240 Jüdinnen und Juden ihre Höchstzahl und nahm ab diesem Zeitpunkt beinah kontinuierlich ab. 

In den kommenden Jahrzehnten änderte sich für die in Wickrath lebenden Jüdinnen und Juden kaum etwas. Sie waren ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens, waren Mitglieder im Männer- und im Frauenverein und kämpften im ersten Weltkrieg. Auch die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 änderte zunächst nur wenig für die 94 verbliebenen Jüdinnen und Juden. So konnte die jüdische Bevölkerung bis 1936 noch vergleichsweise gut in Wickrath leben. Im Jahre 1935 hatte die Gemeinde noch ihre Synagoge aufwändig renoviert und die Neueinweihung gefeiert. 

Das jüdische Gemeindeleben in Wickrath endete abrupt in der Nacht vom 09. auf den 10. November 1938. In dieser Nacht wurde das Innere der Wickrathberger Synagoge vollständig zerstört. In der folgenden Nacht wurde das Gebäude dann in Brand gesteckt. Die in der Synagoge befindlichen Thorarollen fielen der Zerstörung nicht zum Opfer. Durch eine mehrere Wochen zurückliegende Aktion gegen die Synagoge hatte die Mutter von Hilde Zander, die gleich nebenan wohnte, die Thorarollen aus der Synagoge geholt und auf ihrem Speicher versteckt. Die geretteten elf Thorarollen wurden daraufhin anderen Gemeinden zur Verfügung gestellt.

Die wenigsten jüdischen Familien aus Wickrath konnten sich eine Emigration leisten. So wurden insgesamt 43 Jüdinnen und Juden deportiert. Mit der letzten Deportation nach Theresienstadt am 25. Juli 1942 endet das jüdische Leben in Wickrath endgültig. Emigranten und Emigrantinnen und Überlebende leben heute in Süd- und Nordamerika, sowie in Israel.

Die aktuell in Wickrath lebenden Jüdinnen und Juden gehören heute der Synagogengemeinde Mönchengladbach an. 

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