Mönchengladbach

Rheydt

Rheydt Denkmal ©Werner Stapelfeld
Rheydt Denkmal ©Werner Stapelfeldt

Rheydt gehörte in der vornapoleonischer Zeit, wie auch Gladbach, zum Gebiet des Herzogtum Jülich. Dennoch ist hier jüdisches Leben erst weitaus später belegt, als in anderen Teilen des Herzogtums. 

Erstmals 1571 wird von „dem Juden zu Rheydt“ gesprochen. Dieser war als Handelsmann tätig, sein Name ist jedoch nicht überliefert. Auch hundert Jahre nach der ersten Erwähnung jüdischen Lebens in Rheydt wird noch von nur einem Juden gesprochen. Das gleiche gilt für das Jahr 1719. Entweder handelte es sich jeweils um einen einzelnen Juden oder um eine jüdische Familie. Erst ab dem Jahr 1756 steigt die Zahl der jüdischen Einwohner Rheydts an. Alle Jüdinnen und Juden stammen jedoch zu diesem Zeitpunkt als auch in den folgenden Jahrzehnten im weitesten Sinne von einer Familie ab. Von den 20 jüdischen Personen, die Ende 1808 ihre Namensänderungen festlegten waren 18 miteinander verwandt oder verschwägert. 

Zum Zeitpunkt der französischen Besetzung im Oktober 1794 lebten ie drei jüdischen Familien – Familie Schnock, Marcuse und Winter mit insgesamt 23 Personen – in Rheydt. Die wenigen Rheydter Juden arbeiteten als Metzger oder Händler und gingen nebenher auch der Tätigkeit des Geldverleihes nach. 

Zu diesem Zeitpunkt gab es in Rheydter noch keine eigenen Synagogengemeinde. Es wurde sich an dem größeren jüdischen Personenkreis in Odenkirchen orientiert und auch bis etwa 1830 an den dortigen Gottesdiensten teilgenommen. Ein eigener jüdischer Friedhof ist für Rheydt hingegen bereits ab dem Jahr 1782 nachweisbar. Er lag an der heutigen Watelerstraße und wurde bis zum Jahr 1835 als Begräbnisplatz genutzt. 

Die französische Besetzung änderte für die Rheydter Jüdinnen und Juden kaum etwas. So blieb auch inbesondere ihr sozialer Status in den kommenden sechzig Jahren unverändert. Sie arbeiteten weiter in ihren traditionellen Berufen als Metzger oder „Handelsjude“. Allgemein blieb die Zahl der Jüdinnen und Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts gering. 1812 lebten 19 jüdische Personen in Rheydt, 1816 waren es 30, was dennoch nur einen jüdischen Bevölkerungsanteil von 0,82 Prozent ausmachte. Erst ab 1819 kam es zu einer Wanderbewegung von Jüdinnen und Juden aus den umliegenden Dörfern nach Rheydt. Dennoch blieb die Zahl der Zuzüge bis zum preußischen Judenemanzipationsgesetz des Jahres 1847 gering und ein jüdisches Gemeindeleben entfaltete sich erst 1854 durch die Gründung der Kreissynagogengemeinde Gladbach. 

Seit 1809 unterstand die jüdische Gemeinde Rheydts dem gegründeten Krefelder Konsistorium. Die Konsistorien sollten nach protestantischem Vorbild die inneren Angelegenheiten der jüdischen Glaubensgemeinschaft regeln. Das Konsistorium hatte u.a die Aufgabe, den Kultus zu verwalten und zum Beispiel den Vorsteher für die ihr unterstehenden örtlichen Gemeinschaften zu ernennen. Eine solche Ernennung erfolgte für Rheydt jedoch erst am 4. September 1843. Der in Rheydt geborene Metzger Jonas Stern wurde zum Vorsteher der Rheydter Jüdinnen und Juden ernannt, der in der Zeit zuvor bereits seitens der jüdischen Gemeinde als Vorsteher wird angesehen worden sein. Diese Funktion übte zuvor auch sein Vater Heinrich Stern aus. Dieser hatte bereits 1832 Land erworben, welche die Grundlage des neuen jüdischen Friedhofes an der heutigen Eifelstraße wurde. Ein Jahrzehnt später kam innerhalb der jüdischen Gemeinde der Wunsch nach einem eigenen Bethaus auf. Die Gemeinde kaufte kein eigenes Grundstück, mietete jedoch eine Betstube an, dessen genaue Lage heute nicht mehr zu ermitteln ist.

Bis zum Jahr 1846 hatte sich die Zahl der Jüdinnen und Juden auf 88 Personen aus insgesamt 13 Haushalten erhöht. Weiterhin ist der Beruf des Metzgers vorherrschend. Eine gehobenere berufliche Tätigkeit übte der Regenschirmfabrikant Alexander Cahn aus. Bis 1858 stieg die jüdische Personenzahl weiter auf 127 an. Von 18 berufstätigen Juden arbeiteten zu diesem Zeitpunkt noch neun als Metzger, vier waren Handelsmänner bzw. Kleinhändler, zwei übten den Beruf eines Kaufmannes aus und ein Jude war ein Lumpensammler. Lediglich Jakob Struch als Steindrucker und Selig Frank als Litograph deuteten einen Wechsel in neue Berufszweige an. 

Anders als in der Nachbarstadt Gladbach, in der sich der Textilhandel und die Textilherstellung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf jüdische Kaufleute und Unternehmen konzentrierte, bildeten jüdische Textilhersteller in Rheydt stets die Ausnahme und waren in vielen Fällen zugezogene Juden. Jüdische Akademiker (Rechtsanwälte, Ärzte etc.) wurden erst in den 1880er Jahren in Rheydt ansässig. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Zahl der jüdischen Personen in Rheydt kontinuierlich angestiegen, bis sie 1885 mit 263 Personen ihren Höchststand im 19. Jahrhundert erreichte. Zu dieser Zeit waren die meisten Rheydter Juden immer noch als Metzger tätig. Daneben gab es viele Händler, beispielsweise mit Kurz- oder Manufakturwaren, aber auch Zigarrenmacher, Fabrikarbeiter und zwei Lehrer. In rein handwerklichen Berufen wie Bäcker, Schlosser oder Schuhmacher war zu diesem Zeitpunkt noch kein einziger Jude tätig. 

Zu Beginn der 1870er Jahre kam innerhalb der jüdischen Gemeinde der Wunsch nach einer neuen Synagoge auf, da der angemietete Betraum baufällig und viel zu klein für die angewachsene Gemeinde geworden war. Da die meisten Gemeindemitglieder in eher bescheidenen Verhältnissen lebten und die Mittel für einen Synagogenbau nicht aufbringen konnten, machte der damalige Vorsteher David Falk den Vorschlag einer Hauskollekte im Rheinland und in Westfalen, was auch durch den Oberpräsidenten in Koblenz im Juli 1872 genehmigt wurde, nachdem zuvor Planskizzen für die neue Synagoge durch den Baumeister Landmann erstellt worden waren. Diese staatlich genehmigte Hauskollekte zum Bau der Synagoge für die kleine und recht arme jüdische Gemeinde spricht für die volle Integrität der hiesigen Jüdinnen und Juden. 

Das Grundstück zur Erbauung der neuen Synagoge wurde durch die jüdische Gemeinde Ende 1873 erworben. Fertiggestellt wurde der Bau an der damaligen Wilhelm-Straße, der heutigen Wilhelm-Strater-Straße, erst 1876. Die feierliche Einweihung fand am 27. Juli 1876 statt. Eine besondere Bedeutung kam dem rituellen Bad der Synagoge zu, welches in hohem Maße von orthodoxen Juden genutzt wurde. Da die jüdische Gemeinde zu diesem Zeitpunkt noch orthodox geprägt war, war die sogenannte Mikwe ein wichtiges Element für die Mitglieder. An der linken Seite der Synagoge wurde 1880 ein Schultrakt angeschlossen, der bereits im Jahr 1900 abgerissen wurde, da er durch ein größeres Schulgebäude mit Lehrerwohnung auf der rechten Seite der Synagoge ersetzt wurde. Die jüdische Gemeinde hatte bereits 1888 und 1893 versucht, die jüdische Privatschule als eine öffentliche Volksschule anerkennen zu lassen. Der Neubau des Schulgebäudes war verpflichtend, damit die israelitische Schule zum 1. April 1900 als öffentliche Volksschule anerkannt werden konnte. 

1890 begann eine neue Phase für die jüdische Gemeinde in Rheydt, die durch die Herauslösung aus der Kreissynagogengemeinde Gladbach gekennzeichnet war. Die Gemeinde in Rheydt wurde als eigene Synagogengemeinde selbstständig und erhielt den vollen Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Da die jüdische Personenanzahl für eine eigene Synagogengemeinde zu klein war, wurden die Gemeinden aus Odenkirchen, Rheindahlen und Giesenkirchen-Schelsen der Gemeinde Rheydt eingegliedert.

Zu dieser Zeit vollzog sich auch in der wirtschaftlichen Lage der jüdischen Bevölkerung ein Umschwung. 1890 gab es in Rheydt sechs Geschäfte, die jüdischen Familien gehörten, diese wurden jedoch bereits zum Teil einige Jahre später aufgegeben. Dennoch steigt die Anzahl jüdischer Geschäfte bis 1895 bereits auf 15 an, davon waren fünf eine Metzgerei. Obwohl die Anzahl der jüdischen Bevölkerung nur bis in das Jahr 1903 anstieg, hier mit 353 Personen aus 75 Familien ihren Höchststand erreichte und in den folgenden Jahren sank, stieg die Anzahl der Geschäfte, die durch jüdische Menschen in Rheydt betrieben wurden, bis zum Beginn des ersten Weltkrieges 1914 trotzdem weiterhin an.

Bis zum Vorjahr des ersten Weltkrieges war die Zahl der jüdischen Personen in Rheydt auf 279 gesunken, was etwa 0,6 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte.  Bei Kriegsausbruch meldeten sich viele jüdische Männer freiwillig zum Militärdienst. Währenddessen leisteten die jüdischen Frauen im vaterländischen Frauenverein ihren Beitrag und halfen in den eingerichteten Lazaretten. Das Gedenkbuch der jüdischen Gefallenen des ersten Weltkrieges nennt für Rheydt die Gefallenen Max Stern, Josef Goldstein und Ferdinand Stern. Die Gedenktafel am jüdischen Friedhof in Rheydt nennt jedoch drei weitere Namen: Max Klein, Samuel Moll und Albert Seligmann.

1924 legte der langjährige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Moses Stern mit 80 Jahren sein Amt nieder und wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Sein Schwiegersohn Richard Benjamin übernahm seine Position. 

Das Jahr 1926 war für die jüdische Gemeinde durch das 50-jährige Bestehen der Synagoge geprägt. Es kam zu umfassenden Renovierungs- und Umbauarbeiten im Inneren. So wurde beispielsweise das rituelle Bad im Vorraum der Synagoge entfernt und der Aufgang zur Frauenempore verlegt. Am 4. August 1926 wurde gemeinsam mit Vertretern der Behörden und derer anderer Konfessionen die Einweihung der umgebauten Synagoge gefeiert. Die Rheydter Zeitung berichtete ausführlich über dieses Ereignis. 

Die letzte Vorstandswahl vor der NS-Zeit fand am 13. Dezember 1932 statt. Richard Benjamin blieb der erste Vorsitzende der jüdischen Gemeinde. Zu dieser Zeit lebten ca. 270 Jüdinnen und Juden in Rheydt, was wesentlich dazu beitrug, dass das jüdische Gemeindeleben in Rheydt zu dieser Zeit noch stark pulsierte.

Die ersten Auswirkungen nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 trafen als jüdisch gesehene Menschen deutschlandweit bereits am 1. April desselben Jahres in Form der Boykotte der jüdischen Geschäfte. Der jüdische Gottesdienst und Schulbetrieb blieben zunächst unangetastet. Jedoch spürte die jüdische Jugend schnell eine eintretende Isolierung. Durch die Gründung eigener jüdischer Sportorganisationen wurde versucht eine neue Gemeinschaftsbasis aufzubauen. 

Die Synagogengemeinde geriet erstmals im Jahr 1935 in Bedrängnis. Dies begann mit der Schändung des jüdischen Friedhofes am 11. Mai 1935 durch SA- und SS-Männer. Die Täter wurden nie gefasst. Es folgten in kurzer Zeitfolge viele Verhaftungen nach unterschiedlichen Anzeigen, sowie mehrere Überfälle auf jüdische Personen und Geschäfte. Diese „Aktionen“, die sich alle samt auf den Mai 1935 beschränkten, waren in Rheydt bis zu den Novemberpogromen 1938 die einzigen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. Während der Pogrome wurde die jüdische Synagoge in Brand gesetzt und zerstört. Das Schulgebäude mit der Lehrerwohnung blieb jedoch unbehelligt. Eine Statistik der überfallenen jüdischen Geschäfte oder Wohnungen gibt es nicht. 

Nach den Novemberpogromen erstarrte das jüdische Gemeindeleben schlagartig. Die Männer des Vorstandes und die Repräsentanten waren verhaftet und in Dachau inhaftiert worden. Die Gemeinde wich für ihre Gottesdienste auf die Räume des jüdischen Altenheimes auf der damaligen Horst-Wessel-Straße 80 aus. Mit der Deportation der letzten 59 Altersheimbewohner und Bewohnerinnen am 24. Juli 1942 musste auch dieser Betraum aufgegeben werden und das jüdische Gemeindeleben in Rheydt erlosch. 

Nach dem Kriegsende bildete sich in Rheydt keine eigenständige jüdische Gemeinde mehr. Jüdinnen und Juden aus Rheydt gehören heute der Synagogengemeinde Mönchengladbach an.

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