Hochstraße Süchteln | ©Werner Stapelfeldt

Städte am Niederrhein

Viersen

Die heutige Stadt Viersen besteht aus den drei ehemals selbstständigen Städten Viersen, Dülken, Süchteln und dem damals zu Dülken angehörigen Boisheim. Diese schlossen sich im Zuge einer kommunalen Neuordnung 1970 zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt verliefen die Entwicklungen der einzelnen Ortschaften sehr unterschiedlich. Daher gibt es auch keine einheitliche (jüdische) Stadtgeschichte. 

So lag Viersen in der frühen Neuzeit als Exklave des geldrischen Amtes Krickenbeck genau zwischen dem Herzogtum Jülich und dem Kurfürstentum Köln, während Dülken und Süchteln dem Amt Brüggen im Herzogtum Jülich angehörten. Erst die französische Besatzung des linken Rheinlandes im Oktober 1794 änderte diesen Zustand. 

Nach der Neuordnung, die bereits in der Einführung beschrieben wurde, gehörte das heutige Stadtgebiet Viersen zum Rur-Département mit seinem Hauptsitz in Aachen. 

Für das damalige Viersen liegt eine größere Anzahl, teils fragmentarischer, Dokumente aus dem 18. Jahrhundert vor, die die Existenz einzelner Juden und Jüdinnen und einer jüdischen Gemeinde belegen. Diese Dokumente stehen nicht immer in einem direkten Zusammenhang zueinander und geben die Jahrhunderte bis in die Gegenwart nicht lückenlos wieder. 

Die erste (erhaltene) urkundliche Erwähnung jüdischen Lebens im damaligen Viersen stammt aus dem Jahre 1712. In der überlieferten Schöffenurkunde vom 10.Juli 1712 erhält die jüdische Familie um die Brüder Levi und Meier Salomons aus der Grafschaft Moers die Erlaubnis sich im damaligen Viersen niederzulassen. Für die darauffolgenden Jahrzehnte fehlen Belege für ein mögliches jüdisches Leben in der Stadt. 

Erst ab 1802 gibt es erneute Belege für ein deutsch-jüdisches Leben in Viersen. Ab 1809 waren es bereits drei jüdische Familien. Die Familie von Jonas Leffmann, der als Begründer der jüdischen Gemeinde Viersens angesehen werden kann, die Familie des Metzgers Jakob Levi und die Familie des Vorkäufers Bernhard Levi. 1812 kam die Familie des Isaak Israel hinzu, sodass es insgesamt 13 Jüdinnen und neun Juden in der Stadt gab. 1816 lebten bereits sechs jüdische Familien in der Stadt, insgesamt 16 Juden und 20 Jüdinnen. Hier wird mit Joseph Mähler das erste Mal ein Schullehrer und mit Isreal Altkirchs erstmalig ein Kirchendiener erwähnt. Bis 1824 stieg die Zahl der Jüdinnen und Juden kontinuierlich an und erfuhr – nach einer kurzzeitigen Verminderung von 1828 bis 1831 – ab 1834 einen erheblichen Zuwachs. 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts besaß die jüdische Bevölkerung im damaligen Viersen keinen Grundbesitz. Sie lebten in angemieteten Häusern auf der damals so genannten „Judengasse“, die heute noch als Stichweg neben dem Haus Löhweg 3 vorhanden ist, bevor sie sich über das ganze Stadtgebiet verteilt ansiedelten. Dieses Zusammenleben in der damaligen Judengasse stellte kein Ghetto dar, sondern war zu dieser Zeit durchaus üblich. Juden lebten aufgrund von gemeinsamer Kultur, Religion und oft auch Familienzusammengehörigkeit, sehrr oft nah beieinander.

Die jüdischen Familien Viersens lebten hauptsächlich vom Handel und Gewerbe. 1857 betrieben 18 von 25 Juden das Metzgerhandwerk, oft verbunden mit einem Viehhandel, zwei Juden arbeiteten als Kaufleute und jeweils ein Jude als Lehrer, Anstreicher, Strumpfwirker (Hersteller von Strümpfen und Handschuhen), Essigbauer und Buchbinder. Vier Jüdinnen arbeiteten als Putzmacherinnen. Es herrschten demnach noch die für Juden üblichen Berufe vor, die sich auch noch Jahrzehnte lang halten sollten. Wirtschaftlich blieb die jüdische Bevölkerung im damaligen Viersen eher unbedeutend. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum sie auch gesellschaftlich nie eine große Rolle gespielt haben. Sie werden weder durch besondere Armut, noch durch besonderen Wohlstand aufgefallen sein. Lediglich der Textilhändler Josef Weyl und der Papierfabrikant Aron Elkan schafften den Anschluss an die wirtschaftliche Oberschicht der Stadt.

In Bezug auf das religiöse und gemeinschaftliche Leben stand die Viersener Judenschaft den größeren benachbarten Gemeinden in nichts nach. Bereits 1853 erwarb die jüdische Gemeinde ein Grundstück an der Florastraße und legte hier ihren neuen Friedhof an. Schon nach wenigen Jahrzehnten wurde der Friedhof aufgegeben, da er immer weiter durch sich ausdehnende neue Stadtteile zugebaut wurde. Dies widerspricht der jüdischen Tradition, dass ein Friedhof etwas außerhalb einer Ortschaft gelegen ist, um die Unvergänglichkeit und beständigkeit eines jüdischen Friedhofs zu sichern. Ein neuer Friedhof wurde 1907 „auf der Löh“ angelegt. Auch eine eigene Synagoge war im Besitz der jüdischen Gemeinde. Der erste Betraum hatte sich zuvor in einem Anbau des Hauses von Jonas Leffmanns, der 1817 zum Vorsteher der jüdischen Gemeinde gewählt worden war, befunden und bestand dort bis ins Jahr 1852. Im Jahre 1863 erwarb die Gemeinde das Grundstück und das Haus Rektoratstraße 10. Hier befand sich neben dem Betraum im oberen Stockwerk auch die jüdische Schule, die zunächst eine private Schule war, bis sie 1905 eine staatliche Schule wurde. So war die jüdische Gemeinde schon weit vor dem ersten Weltkrieg in ihren öffentlichen Einrichtungen komplett.

Betraum Rektoratstraße 10 ©Werner Stapelfeldt
Gedenktafel Rektoratstraße 10
©Werner Stapelfeldt

Am ersten Weltkrieg beteiligten sich die Jüdinnen und Juden im gleichen Maße, wie die restliche Bevölkerung. Zwei jüdische Soldaten fielen, mehrere wurden zum Teil stark verwundet. 

Wie in ganz Deutschland erreichte auch im damaligen Viersen das Judentum seine größte Ausdehnung in der Zeit zwischen beiden Weltkriegen. Die meisten jüdischen Familien der Stadt lebten immer noch vom Metzgerhandwerk und vom Viehhandel. Ihre Geschäfte waren dadurch auch in den schlimmsten Depressionsjahren ab 1929 nie so rückläufig wie im Bereich der verzichtbaren Luxisgüter. Ihr geschäftlicher und gesellschaftlicher Einfluss wuchs dadurch kontinuierlich an. So konnte sich das „Textil- und Konfektionshaus Katzenstein & Co“ zu dieser Zeit wohl als das führende Mode- und Textilhaus der Stadt bezeichnen. Insgesamt gab es in den 1920er Jahren zehn jüdische Geschäfte und einen jüdischen Arzt in Viersen. Insgesamt scheinen nicht alle Jüdinnen und Juden mit ihrer wirtschaftlichen Lage und geschäftlichen Entwicklungsmöglichkeiten während der Weimarer Republik glücklich gewesen zu sein, da es eine hohe Abwanderungsquote, zu großen teilen in die größeren Städte Mönchengladbach und Krefeld, gab. Hier war die Industrialisierung schon weiter vorangeschritten, Viersen stand in der Entwicklung den größeren Städten nach.  Lebten 1925 noch 157 Jüdinnen und Juden in der Stadt, so waren es 1933 nur noch 130.

Obwohl das Zusammenleben zwischen der christlichen und jüdischen Bevölkerung stets als ein freundliches beschrieben wurde, kam es schon kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933 zu gewaltsamen Ausschreitungen. Während der Novemberpogrome 1938 kam es auch im damaligen Viersen zu Gewaltverbrechen gegen die jüdische Bevölkerung. Jüdische Geschäfte und Wohnhäuser wurden überfallen und zum Teil zerstört. Viele jüdische Männer wurden inhaftiert, darunter auch der pensionierte Lehrer und Kantor der Gemeinde Israel Nussbaum. Die Erfahrungen während der Novemberpogrome brachten erneut viele Jüdinnen und Juden dazu, eine Auswanderung zu planen. So emigrierte Anfang 1939 der letzte Gemeindevorsteher David Katzenstein mit seiner Familie nach Tel Aviv. Im Mai 1939 lebten nur noch 48 Jüdinnen und Juden in der Stadt. In den Jahren 1939 und 1940 wurde der Grundbesitz der jüdischen Gemeinde enteignet und die Synagoge und der Friedhof gingen in städtischen Besitz über. Im Dezember 1941 setzten die Deportationen der jüdischen Bevölkerung aus Viersen ein, 24 Jüdinnen und Juden werden mit einem Sammeltransport in das Ghetto Riga deportiert. Im Juli 1942 werden die letzten neun Jüdinnen und Juden aus der Stadt nach Theresienstadt deportiert, unter ihnen befand sich auch Israel Nussbaum. 

Nach Kriegsende kehrten nur drei Überlebende der ehemaligen jüdischen Gemeinde in die Stadt zurück. Seit 1948 gibt es einen Gedenkstein auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof „auf der Löh“, der an die ermordeten Viersener Jüdinnen und Juden erinnert. Am Standort der ehemaligen Synagoge und der ehemaligen jüdischen Schule wurde Mitte der 1980er Jahre eine bronzene Gedenktafel angebracht. Seit 2008 werden im heutigen Stadtgebiet Viersen Stolpersteine für die Opfer des Nationalsozialismus verlegt, darunter auch viele Steine für verfolgte Jüdinnen und Juden. 

Auch heute leben noch Jüdinnen und Juden nicht bekannter Anzahl in Viersen, eine eigene aktive jüdische Gemeinde wurde jedoch nicht wieder aufgebaut. Jüdinnen und Juden gliedern sich der Gemeinde Mönchengladbach an.

Süchteln

Die Geschichte des jüdischen Lebens in Süchteln beginnt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Joel Jonas erhält als erster Jude 1663 den landesherrlichen Schutz (Schutzjude), für den er neun Goldgulden zahlen musste. Er war im Fleischhandel tätig, gemessen an der Höhe der Geleitgeldsforderung scheint er keinen übermäßigen Gewinn erwirtschaftet zu haben. 1689 verließ Jonas Süchteln und verzog nach Weisweiler. Der nächste in Süchteln vergeleidete Jude war Levi Nathan, der 1693 nach Süchteln kam. Das Geleit sicherte den Juden, gegen eine Zahlung, ihren persönlichen Schutz und dadurch ihre körperliche Unversehrtheit in dem entsprechenden territorialen Gebiet zu. Levi Nathan war im Getreide-, Fleisch- und Geldhandel tätig und wurde sogar in die Bürgerschaft aufgenommen. Wann er Süchteln wieder verließ ist unklar, 1721 lebte er nicht mehr in der Stadt. Dafür finden wir in diesem Jahr zwei neue jüdische Bürger in Süchteln: Salomon Manass und Natan Salomon. Die Zahl der jüdischen Bevölkerung stieg bereits im 18. Jahrhundert kontinuierlich, wenn auch langsam, an. 1742 lebten fünf jüdische Familien in der Stadt, 1786 waren es schon sieben.

Bereits 1749 beantragte die jüdische Gemeinde die Zuweisung eines Begräbnisplatzes, da der Bisherige (Ort heute nicht mehr bekannt) platzmäßig nicht mehr ausreichend war. Die Zuweisung erfolgte noch im gleichen Jahr und es entstand der jüdische Friedhof am heutigen Heideweg, der mit einem Wall eingefriedet war. Schon zwanzig Jahre später kam es zu den ersten Friedhofsschändungen. 

Auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wuchs die jüdische Gemeinde in Süchteln weiter an, dennoch blieb sie zahlenmäßig immer sehr klein. Ihre Mitgliederzahl lag im 19. und 20. Jahrhundert durchschnittlich bei 38 Personen. 

1810 ist erstmals eine Synagoge in Süchteln erwähnt. Es handelte sich um ein einfaches Wohnhaus, welches unmittelbar vor der evangelischen Kirche lag. Dies ist ein Ausdruck für die einfachen Verhältnisse, in denen die jüdischen Gemeindemitglieder lebten. Dennoch müssen einige jüdische Familien schon vor 1810 über Grundbesitz verfügt haben. Nachrichten über das Gemeindeleben in der Stadt gibt es kaum. Dennoch wissen wir, dass die jüdische Gemeinde sich 1854 selbstbewusst gegen eine Zusammenlegung mit der Gemeinde Viersen weigerte. Schließlich wurde die Gemeinde dem Synagogenbezirk Kempen zugeordnet, von dem sich die Gemeinde seit 1902 (erfolglos) versuchte zu lösen.

Eine eigene jüdische Schule besaß die Süchtelner Gemeinde nicht, die Zahl der schulpflichtigen Kinder stieg nie über zehn an. Süchteln bildete mit St. Tönis und Vorst einen Schulverband. Da den jüdischen Kindern der lange Weg nach Vorst erspart bleiben sollte, wurde um die Erlaubnis gebeten, den Religionsunterricht in Viersen zu besuchen, bzw. den Viersener Lehrer Israel Nussbaum nach Süchteln kommen zu lassen. 1898 unterrichtete dieser zum ersten Mal die jüdischen Kinder Süchtelns.

Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger lebten vom Metzgerhandwerk und dem Viehhandel, woran sich im Laufe der Jahrhunderte kaum etwas änderte. 1812 gaben alle fünf patentfähigen Juden in Süchteln den Beruf des Metzgers an. 1853 waren neun von zehn gewerbetreibenden Juden Fleischer, einer war ein Handelsmann. Auf anderem Gebiet erfolgreich waren die Brüder Nathan und Jacob Lifges. Die Brüder, die ihre Metzgerei zur Jahrhundertwende aufgegeben hatten, waren mit dem Textilgeschäft „N. Lifges“, welches auf der Hochstraße lag, in Süchteln sehr erfolgreich. 

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts blieb die Zahl der Jüdinnen und Juden in Süchteln ziemlich konstant. 1907 erreichte die jüdische Gemeinde mit 51 Mitgliedern ihren Höchststand, um danach kontinuierlich abzunehmen. 1925 lebten nur noch 31 Jüdinnen und Juden in der Stadt, 1933 waren es nur noch 22. 1942 wurden die letzten sechs Gemeindemitglieder nach Theresienstadt deportiert.

Hindenburgstraße Gedenktafel Synagoge

Nach Kriegsende kam nur eine jüdische Familie zurück nach Süchteln. Eine aktive Gemeinde entstand nicht mehr. 1955 wurde der jüdische Friedhof offiziell für geschlossen erklärt, nachdem es ein Jahr zuvor zu Beschädigungen durch spielende Kinder gekommen war. Gräber, die älter als 30 Jahre waren, wurden eingeebnet und der Friedhof als Grünanlage hergerichtet – entgegen der jüdischen tradition, die eine Einebnung von Grabstätten nicht vorsieht, Gräber werden hier „für die Ewigkeit“ angelegt. Lediglich das Grabmal der Familie Baum wurde als Denkmal erhalten. Der Wunsch der verbleibenden jüdischen Familie, zur Offenhaltung des Friedhofes, wurde abgelehnt. 

Dülken

Die erste Erwähnung jüdischen Lebens in Dülken stammt aus dem Jahr 1340. Hier wird ein Mann Namens „der Jude Isaak aus Dülken und seine Frau Muscate“ genannt, denen Anteile an zwei Häusern übertragen wurden. Allgemein sind die Dokumente über das jüdische Leben in Dülken aus dem 14. Jahrhundert spärlich, jedoch belegen sie, dass die Dülkener Judenschaft aus erfolgreichen Geschäftsleuten bestand, die überregional im Geldhandel tätig waren und unter anderem auch als Finanziers des niederen Adels auftraten. Die Pestpogrome 1348-1351 traf auch die Jüdinnen und Juden aus Dülken, wenigstens scheint sich hier „nur“ um eine Vertreibung gehandelt zu haben und es sind keine Todesopfer dokumentiert und Teile der jüdischen Familien ließen sich schon kurze Zeit später erneut in Dülken nieder. Trotzdem enden die Dokumente über ein jüdisches Leben in Dülken mit dem ausgehenden 14. Jahrhunderts und setzen erst im 17. Jahrhundert wieder ein. 

Erst im Jahre 1653 gibt es erneute Belege für ein jüdisches Leben in Dülken. Zu dieser Zeit leben drei vergeleidete Juden in der Stadt, 1661 sind es vier. Das Geleit sicherte den Juden, gegen eine Zahlung, ihren persönlichen Schutz und dadurch ihre körperliche Unversehrtheit in dem entsprechenden territorialen Gebiet zu. Auch 1725 leben vier vergeleidete Juden in Dülken. Es handelt sich jedoch um komplett unterschiedliche Personen. Welchen Gewerben die ersten jüdischen Dülkener Bürger aus dem 17. Jahrhundert nachgingen, ist nicht mit Gewissheit zu bestimmen. Aufgrund von erhaltenen Beschwerden der Jülcher Stände beim Herzog, in denen sich beschwert wurde, dass die jüdische Bevölkerung neben dem Geldgeschäft nun auch bürgerlichen Gewerben nachginge, ist es naheliegend, dass sie im Geldverleih tätig waren. 

Der Mitte des 18. Jahrhundert einsetzende 7-jährige Krieg und der dadurch resultierende wirtschaftliche Rückgang zwang auch die Dülkener Judenschaft zu einer Neuorientierung. Viele gingen in das Metzgerhandwerk und den Viehhandel über. Der erste jüdische Fleischhändler in Dülken ist bereits ab dem Jahr 1645 belegt. Viele jüdische Familien lebten in dieser Zeit als kleine Viehhändler, einige müssen Konkurs erklären und andere mussten ihre Häuser wegen hoher Schulden verpfänden. Diese schlechte wirtschaftliche Lage zwang die jüdische Bevölkerung dazu, ihre traditionellen Handelsgebiete auszuweiten, was häufig zu Konflikten mit der nicht-jüdischen Bevölkerung führte. Diese Konflikte wurden dadurch verschärft, dass einige Teile der Bevölkerung die dort ansässigen Juden als Ursache der schlechten wirtschaftlichen Lage ansahen.

Die französische Herrschaft begann für über die Hälfte der Dülkener Jüdinnen und Juden mit (hohen) Schulden. Ihre wirtschaftliche Notsituation wurde durch das Napoleonische Dekret weiter erschwert. Das Dekret schrenkte die freie Erwerbstätigkeit der Jüdinnen und Juden ein. Es setzte für wesentliche Bürgerrechte außer Kraft und zwang die jüdischen Bürgerinnen und Bürger zur Annahme fester Familienname. Das Dekret, welches ursprünglich eine Laufzeit von zehn Jahren vorsah behielt auch nach dem Übergang des linken Rheinlandes an Preußen 1815 und der Errichtung der Rheinprovinz 1822 seine Gültigkeit. Weiterhin lebte die Dülkener Judenschaft fast ausschließlich vom Vieh- und Pferdehandel und dem Metzgereihandwerk. An diesem Umstand änderte sich bis ins 20. Jahrhundert kaum etwas. Alleine die jüdischen Familien Harff und Fröhlich brachten es zu einem ansehnlichen Besitz. Beide Familien waren bereits im 18. Jahrhundert erfolgreich und werden bis ins 20. Jahrhundert in den Steuerverzeichnissen der Stadt geführt.

Über das jüdische Gemeindeleben in Dülken ist nur wenig bekannt. 1759 schenkte Nathan Benjamin Moyses der Gemeinde das Hinterhaus seines Hofes an der Ecke Lange Straße und Domhof, zur dauerhaften Errichtung der Synagoge. Zu diesem Zeitpunkt sollte sich bereits seit 100 Jahren die Synagoge an diesem Standort befunden haben. Die meisten Jüdinnen und Juden lebten um die Synagoge herum. Dieser Wohnbezirk war kein Ghetto, sondern ein normaler Bestandteil der städtischen Siedlungen. Etwas später als die Synagoge, wurde der erste jüdische Friedhof in Dülken errichtet. Mit seinem Standort an der Venloer Straße, direkt neben dem evangelischen Friedhof, ist er erstmals 1768 erwähnt. 

In den 1870er Jahren musste der alte jüdische Friedhof geschlossen werden. Ursprünglich hatte die Stadt Dülken den Plan verfolgt, einen Kommunalbegräbnisplatz für alle Konfessionen anzulegen. Dieses Vorhaben stieß nicht in allen Kreisen der jüdischen Bevölkerung auf Zustimmung. So stellte die Familie Harff das Grundstück am heutigen Kampweg, zur Eröffnung eines neuen Friedhofes, der Gemeinde zur Verfügung. Die erste Bestattung fand hier wahrscheinlich 1874 statt.

Jüdischer Friedhof Kampweg
©Werner Stapelfeldt
Jüdischer Friedhof Kampweg
©Werner Stapelfeldt

1888 wurde in Dülken die erste jüdische Privatschule errichtet. Die jüdischen Kinder hatten zuvor die katholische bevorzugt, jedoch die evangelische Schule besucht. Der Unterricht wurde zunächst in der Lehrerwohnung, später in einem angemieteten Raum abgehalten. 

Die Gemeindegröße schwankte im 19. Jahrhundert zwischen 80 und 100 Mitgliedern. Aufgrund des fortwährenden Verfalls des alten Synagogen-Gebäudes wurde gegen Ende des Jahrhunderts der Neubau einer Synagoge notwendig. Die Grundsteinlegung an der heutigen Martin-Luther-Straße fand 1897, ein Jahr später fand die Einweihung unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit statt. Es handelte sich um einen einfachen Ziegelrohbau im maurischen Stil, der neben der eigentlichen Synagoge auch die Schulräume bis 1924, einen Sitzungssaal, das rituelle Tauchbad und eine Wohnung enthielt. 

Die religiöse Haltung der jüdischen Gemeinde zur Jahrhundertwende kann als liberal bezeichnet werden. Die Gemeinde hatte sich im Laufe der Jahrhunderte assimiliert und stellte eine, in der Städtegesellschaft Dülken anerkannte und akzeptierte, Gruppe dar. Bereits zu Zeiten der Weimarer Republik setzte ein Rückgang der jüdischen Gemeindemitglieder ein. Diese Tendenz setzte sich nach 1933 fort. 1933 lebten 60 Jüdinnen und Juden in Dülken, etwa 2/3 dieser Gruppe konnte emigrieren. Der Rest wurde 1941 bzw. 1942 nach Riga oder nach Theresienstadt deportiert. 

Heute gibt es in Dülken keine eigenständige jüdische Gemeinde mehr. 

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